Öko & Fair im Interview auf Slowfood

Quelle: Slowfood Deutschland e.V.

Ausbeutungsprobleme aus der sogenannten Dritten Welt rücken näher“

Viele Lebensmittel entstehen unter extrem problematischen sozialen Bedingungen. Auch, weil es kaum Sozialstandards für den Landwirtschaftsbereich gibt, die funktionieren. Die Folge: Fairtrade ist nicht nur im Handel mit südlichen Ländern nötig, sondern längst auch innerhalb Europas. Bisher hängt das am Engagement einzelner. Slow Food fordert nun: Es braucht verbindliche Sozialstandards entlang der Wertschöpfungskette. Die Initiative NoCap macht es vor, wie Christiane Lüst erklärt.

NoCap kämpft gegen das sogenannte Caporalato-System. Es wird von kriminellen Organisationen bzw. der Mafia kontrolliert, die “Vorarbeiter” einsetzt. Den meist afrikanischen Erntehelfer*innen wird dabei mit Gewalt und Erpressung der ohnehin geringe Lohn wieder für Transport, Miete für Wellblech- und Plastikplanenzelte und Wasserflaschen abgenommen. Das System nutzt dabei die Hilflosigkeit der Menschen aus.

Die industrielle Landwirtschaft in Italien ist von billigen Erntehelfer*innen abhängig. Es sei denn, die Produkte werden zu höheren Preisen angeboten und die Kund*innen und Verbraucher*innen akzeptieren die Preise für ethisch erzeugtes Gemüse und Obst. Daran arbeitet die Initiative NoCap. Weitere Informationen gibt es >> hier.

Frau Lüst, Sie importieren unter dem Namen NoCap Lebensmittel vor allem aus Süditalien nach Deutschland, die unter wirklich fairen Bedingungen produziert wurden. Woher stammt die Idee?

Und wo setzt NoCap da an?

Es geht vornehmlich darum, Menschen aus einer unwürdigen Lebenssituation herauszuholen. Nicht nur in Italien, auch in Almeria, Südfrankreich, zunehmend Griechenland.

Es gibt dort, mitten in der EU, doch eigentlich Gesetze, die unwürdige Lebenssituationen vermeiden sollten.

Die Mafia hat das Geschäftsmodell entdeckt, Geflüchtete in der Landwirtschaft auszubeuten. Die Menschen sind froh, dass ihnen erstmal jemand begegnet, ihnen Unterkunft gibt, sie arbeiten lässt. Aber so landen am Ende Zehntausende Geflüchtete in Ghettos. Dort hausen die Menschen unter unwürdigen Bedingungen, werden abhängig und in der Landwirtschaft eingesetzt. Die geringen Löhne knöpft man ihnen sofort wieder ab für Verpflegung, Transport, Unterkunft. Da ist in der Landwirtschaft ein perfides System der Ausbeutung entstanden, in manchen Fällen ist die Situation schlimmer als in den Ursprungsländern der Geflüchteten. Und das zieht sich über die billigen Produkte, die so entstehen, bis nach Deutschland. NoCap befreit die Menschen aus diesen Lebensumständen, indem es mit den Landwirtschaftsbetrieben aushandelt, dass sie ihre Arbeitenden würdig bezahlen und unterbringen. Es geht immer darum, dass die Menschen die Sprache lernen und selbstständig gemacht und „legal“ werden. Wenn die Leute illegal sind, sind sie für die Mafia natürlich auch erpressbar.

Ist das ein Problem des Südens?

In Italien finden sich Fälle mafaiartiger Ausbeutung in landwirtscahftlichen Betrieben im ganzen Land, bis hin zur Traubenlese in Südtirol. Ausbeutungsprobleme aus der so genannten dritten Welt rücken zunehmend näher.

Und in Deutschland?

Hier gibt es Fälle von Menschen aus Osteuropa, die in schlechten Unterkünften zu schlechten Bedingungen leben müssen, die sich kein Deutscher zumuten würde. Es ist nicht so krass wie in Italien, weil in Deutschland in der Regel nicht illegal in der Landwirtschaft gearbeitet wird, aber dennoch oft nicht zumutbar.

Ihre Produkte bei NoCap sind Bio-Produkte. Warum braucht es bei ökologisch erzeugten Lebensmitteln zusätzlich noch ein Soziallabel?

Das Soziale wird auch in der Öko-Bewegung oft ausgeblendet. Es wird einfach zu viel freiwilligen Initiativen überlassen und zu wenig systematisch reguliert. Es gibt Billig-Bio, bei dem die Menschenrechte nicht mehr geachtet werden als im konventionellen Bereich. Und das ist ein Skandal.

Welchen Einfluss haben Verbraucher *innen in Deutschland auf das alles?

Je mehr NoCap Produkte verkauft werden, desto mehr Geflüchteten können wir helfen. Im vergangenen Jahr waren es 450 Menschen, das Ziel für dieses Jahr sind 1.000. Darüber hinaus hilft es, auf Zertifikate wie das Fairtrade-Logo zu achten und sich bewusst zu machen, woher die Lebensmittel kommen.

Und wie finden Verbraucher*innen Ihre Produkte?

Wir haben ein eigenes Logo, an dem man die Produkte erkennt. Es gibt verschiedene Tomatenprodukte, die wir Deutschlandweit vertreiben. Eine Übersicht gibt es auf unserer Website. Wir bringen demnächst auch Großgebinde für die Gastronomie auf den Markt.

Zieht der konventionelle Lebensmittelhandel in Deutschland mit?

Hier und da. Wir probieren alles. Aber flächendeckend sind größere Handelsstrukturen oft schwierig, weil die spezielle Preisvorstellungen haben. Und weil zu viele Konsument*innen noch den Eindruck haben, dass 50 Cent für eine Dose Tomaten doch reichen.

Und bleibt NoCap auf Tomatenprodukte begrenzt?

Wir haben in den vergangenen Monaten schon auf Vorbestellung Zitrusfrüchte importiert. Das werden wir ausweiten. Ebenso wie weitere Produkte.

Die Fragen stellte Sven Prange

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