Reisebericht zu unseren Integrationsprojekten in Süditalien

die Novembertour zu unseren Integrationsprojekten für Geflüchtete in Süditalien war diesmal eine besondere Herausforderung.

Nach über einem Jahr Vorbereitung mit vielen Telefonaten und Emails haben Verena und Monika von der Reformierten Kirche Offener Jakob in Zürich eine 16-köpfige Gruppe aus mehreren Kantonen organisiert und wir wurden als Reiseleiter engagiert. Die Teilnehmer*innen hatten bereits in unterschiedlicher Weise Erfahrungen mit Migration, Integration und Sozialarbeit. Es wurde also eine Studienreise. Das Interesse und die Aufmerksamkeit in der Gruppe war deshalb auch besonders hoch.

Die Gruppe erreichte Foggia in Apulien mit dem Zug, von wo wir mit gemieteten Autos die Reise fortsetzten. Erster Stopp war das autonome Lager GHETTO OUT CASA SANKARA, zwischen Foggia und San Severo gelegen, wo bis zu 500 Geflüchtete Unterkunft, Arbeit, Beratung und Unterstützung bekommen. Dort war die Tomatenernte auf den eigenen Feldern vor wenigen Tagen zu Ende gegangen und die beiden Chefs konnten uns die frisch erzeugten Dosen mit geschälten Tomaten zeigen. Wie sie uns mitteilten, haben sie einen guten Partner gefunden, der die Tomaten vermarktet, so dass es nicht wieder zu einer Finanzierungslücke kommen kann, wie nach der Ernte des Vorjahres. 

Mbaye Ndiaye zeigt uns die neuen Tomatendosen.

Wir mussten zusammen mit der “Karawane der Menschlichkeit” Spendengeld zusammenkratzen und Heini Staudinger einige tausend Pelati-Dosen in seinen GEA-Filialen gegen Spende verschenken. So konnten wir mit sehr viel Spontanität den Weiterbestand des Vorzeigeprojektes sichern. Das Gruppenfoto vor dem Portrait von Thomas Sankara, dem afrikanischen Freiheitsidol durfte nicht fehlen.

Schäm dich Europa!

Yvan Sagnet von der Organsisation NOCAP (links im Bild) führte uns wie immer durch das nahegelegene Ghetto Borgo Mezzanone, das größte in Italien mit saisonal über 5.000 Geflüchteten. Wir hatten einige Bedenken, mit so vielen Weißen durch die Gassen zu laufen. Aber diesmal gab es nur freundliche Bewohner und keinen Stress. Nur ein paar auffällig verzeifelte und traumatisierte Menschen. Wir konnten sehen, dass Meloni ihre Versprechen einlöst und den Aufenthalt für Geflüchtete in Italien noch mehr erschwert hat. Der Staat zieht sich sichtbar aus der humanitären Hilfe zurück. So wurden zum Beispiel Trinkwasser-Behälter abgebaut und feste Unterkünfte in einem benachbarten Erstaufnahme-Zentrum  abgerissen, damit sie nicht mehr besetzt und genutzt werden konnten. Der Name “Zentrum des Willkommens” ist blanker Hohn. Das Ghetto ist wie ein Krebsgeschwür wieder gewachsen. Die Müllabfuhr ist nicht existent und die Feuerwehr ist ständig mit brennendem Plastikmüll beschäftigt. Der Gestank liegt permament in der Luft.

Ein kurzer Abstecher führte uns zu PrimaBio, wo unsere NOCAP-Tomaten angebaut, geerntet, verarbeitet und gelagert werden. Maria, die Junior-Chefin (l.) zeigte uns die ganzen Anlagen, und lobte die Zusammenarbeit mit NOCAP. Sie stellte fest: Ohne die NOCAP-Arbeiter auf den Feldern könnte die Firma nicht existieren und sie ist froh, dass sie durch den Tomatenvertrieb in Deutschland ihre Arbeitsplätze noch ausbauen konnte. 

Ein französischer Radiosender erstellte vom ersten Teil unserer Reise einen Podcast. Die wechselweise Verständigung in französisch, englisch, italienisch und deutsch mit Dolmetscherin war sehr amüsant.

Kulturhauptstadt 2019

Auch für Kultur und Erholung war Platz: Die Besichtigung der Altstadt von Matera und der Felsenwohnungen war ein unbedingtes Muss, um die vielen Eindrücke zu verarbeiten und wieder positiv denken zu können.

Im Haus der Würde (Casa Betania) in Serra Marina  trafen wir Don Antonio (Mitte), den Pfarrer, der die Einrichtung betreut und den Sudanesen Moudy (Souleiman Mohammed), der nach zwei Fernstudium-Diplomen bei der Stadt Matera als Integrationsberater arbeitet. 30 Geflüchtete meist aus Nord- und Ostafrika leben im Haus, das als Durchgangsstation dient, bis italienische Sprachkenntnisse zufriedenstellend sind und die Beschaffung der lebenwichtigen Papiere erledigt ist. Wir haben gefragt, wie wir sie erneut unterstützen können. Sie berichteten über ihr neues und seit langem notwendiges Mutter-Kind Projekt, wofür sie eine Feigenplantage anlegen wollen in der die Frauen zusammen mit ihren Kindern geschützt sind, arbeiten und ihren eigenen Unterhalt verdienen können. Wir haben vesprochen, das Projekt finanziell zu unterstützen.

Die Fahrt nach Riace hatte schon wenige Wochen vorher eine überraschend positive Wendung bekommen. Denn Domenico (Mimmo) Lucano, der ehemalige Bürgermeister mit dem erfolgreichen Integrationskonzept wurde vom Gericht in Reggio Calabria in zweiter Instanz von allen Vorwürfen bezüglich einer angeblich kriminellen Vereinigung freigesprochen. Die 13 Jahre Haft waren vom Tisch, die Unsicherheit und Depression der letzten Jahre wich einer deutlich entspannteren Atmosphäre im Dorf. Jetzt fängt der Wiederaufbau all dessen wieder an, was in den letzten 4 Jahren von der politischen Justiz zerstört worden war. Wir haben immer wieder mit Hilfsaktionen und Geldspenden den Erhalt der Struktur unterstützt. Der Aufwand hat sich gelohnt! 

Die Ölmühle hatte den Betrieb wieder aufgenommen, die Werkstätten waren geöffnet und Mimmo hatte wieder angefangen zu planen und zu organisieren.

Die Kerne der Oliven sind ein wertvoller Naturdünger oder energiereicher Brennstoff.

Mimmo hat uns alle 18 zum opulenten Mittagessen in die Mensa des Kindergartens eingeladen, wo er uns noch einmal die Entstehung und die Grundzüge des “Villagio Globale” in Riace erklärte.

Seit 2019 kennen wir Barnabe. Wir laden ihn immer zum Wiedersehen zum Essen ein. Er lebte zwischenzeitlich ein paar Monate lang in Deutschland, bis er aus Angst vor Abschiebung freiwillig wieder nach Italien zurückgekehrt ist. Inzwischen hat er wenigstens wieder einen neuen Pass von Benin und wartet auf seine bereits einmal abgelehnte Anerkennung seines Asylantrags in Italien.

Barnabe jobbt zwischen Hotel-Hausmeister, Olivenplantage, Orangenernte und verdient sich mit der Reparatur von Smartphones etwas dazu. Wir konnten ihn dafür mit Präzisionswerkzeug, MacBook und iphone ausstatten, so dass er mit seinem verdienten Geld seine Frau und seine Tochter in Benin versorgen kann. Er hat eine Zeit lang im Ghetto San Ferdinando gelebt. Jetzt hat er eine ordentliche Wohnung, er hat Freunde in Riace und ist überall gern gesehen. Er versichert immer wieder, dass er mit seinem Leben nun zufrieden ist! Zurückkehren nach Benin ist nicht möglich. Er hat sich geweigert mit einem Mafia-Clan in Benin zu kooperieren. Seitdem ist er dort in Lebensgefahr, weil er zu viel weiß.

Eine halbe Stunde Fahrt von Riace entlang der Küste und schon waren wir in Roccella Ionica bei unseren Schützlingen von Felici da matti, einer sozialen Kooperative. Seit Januar 2022 müssen sie ihre ökologischen Seifen und Reinigungsmittel aus Recycling-Frittieröl in einer provisorischen Bleibe produzieren und bangen um ihre Zukunft. Sie wollen – oder besser gesagt sie müssen – ihr Grundstück mit einem neuen Produktionsgebäude bebauen oder neue geeignete Räume anmieten. Dazu fehlt ihnen im Moment noch das nötige Geld. Wir führen alle ihre Produkte in unserem Hofladen.

 Teresa Nesci will das soziale Projekt nicht aufgeben und kämpft. 

Zufällig hatte die Zeitung Corriere della Serra einen Tag vorher einen halbseitigen Artikel über die Felici veröffentlicht. Trotz zahlreicher Umwelt- und Nachhaltigkeitspreise ist es für sie schwer, sich zu konsolidieren. Wir wollen versuchen, mit Crowdfunding zu helfen und evtl. einen Investor und neue Absatzmärkte in Deutschland zu finden.

Kalabrien ist das Armutsviertel Italiens. Betriebe haben es schwer zu überleben.

Der Besuch des Zeltghettos Tendopoli in San Ferdinando ist jedes Mal ein Ziel unserer Reise. Gianantonio Ricci ist dort als landwirtschaftlicher Berater für die italienische Fairtrade-Organisation ChicoMendes tätig. Mit seinem Projekt “Spartacus” holt er Geflüchtete aus dem Ghetto, vermittelt sie an Obst-Plantagen und verpflichtet die Arbeitgeber dazu, die Arbeitskräfte gesetzlich zu bezahlen und menschenwürdig unterzubringen. Das funktioniert genauso wie bei NOCAP. Yvan und Gianantonio arbeiten eng zusammen. Gianantonio kann im Ghetto ein und aus gehen. Er ist dort bekannt und geschätzt. Deswegen war unser Rundgang gefahrlos. Aber auch, weil die meisten Bewohner unterwegs in den Plantagen waren. Der Staat hat sich auch hier zurückgezogen. Die Sanitärcontainer sind nicht mehr benutzbar. Polizei und Feuerwehr wurden abgezogen. Die Zelte des Innenministeriums sind löchrig vom Funkenflug der offenen Feuer jeden Abend. Lediglich NGOs kümmern sich noch um eine minimal mögliche Gesundheitsversorgung und Rechtsberatung im Asylverfahren. 

Gianantonio vor dem Caritas-Container, der nur einmal pro Woche besetzt ist. Täglich bauen sich Neuankömmlinge ein Dach über dem Kopf und suchen Schutz vor Wind und Wetter. Im Ghetto gibt es neben einer Fahrradwerkstatt auch “Geschäfte” mit Kleidung und Haushaltsgeschirr.

Wir konnten uns mit einer Spartacus-Arbeitsgruppe und dem Chef der Obstplantage Frutti del Sole beim angemieteten Wohnhaus treffen. Wegen Starkregen an diesem Tag konnten sie keine Orangen ernten. Die oberen beiden Stockwerke hat SOS Mediterranée angemietet, Gianantonio kann sie für seine Jungs nutzen.

Links im Bild ist Jacob, dem wir vor ein paar Monaten ein paar Computer übergeben haben. Er ist IT-Experte und stellt sein Wissen den Jungs zur Verfügung, um auf den Computern zu lernen und zu kommunizieren. Neben ihm steht Yacounda. Sein Wunsch ist es, den Führerschein zu machen, damit er seine Kollegen zu den Plantagen fahren kann. Jetzt müssen sie den weiten Weg täglich mit dem Fahrrad zurücklegen, wenn Gianantonio unterwegs ist. Wir haben versprochen, den Führerschein zu finanzieren und wir besorgen vielleicht auch noch ein Transportfahrzeug.

Zum Abschluss besuchten wir noch eine Gedenkstätte am Strand von San Ferdinando für die vielen ertrunkenen Menschen, die Europa mit einem Boot erreichen wollten.

Zusammenfassung

Die große Reisegruppe hatte uns anfangs zu bedenken gegeben. Aber schnell stellte sich heraus, dass die Gruppe großartig harmonierte, sehr flexibel, interessiert und ausdauernd war. Ein großes Kompliment!
Wir haben wieder viele neue Eindrücke gewonnen. Als Ergebnis nehmen wir wieder einige Arbeitsaufträge und Fördermöglichkeiten mit und unser Netzwerk ist mit der Erweiterung auf die halbe Schweiz deutlich größer geworden. Und schon freuen wir uns auf die nächste Fahrt voraussichtlich in der Karnevalswoche 2024. Es sind noch Plätze frei.

Wer die Projekte fördern möchte, der kann das am besten über unser Spendenportal tun. Wir konnten bis heute mit über 50.000 € dort helfen, wo es in den vergangenen Jahren am nötigsten war. Wir wollen die Hilfen gerne fortsetzen. Deshalb sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.

Spendenportal: https://nocap.oeko-und-fair.de

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