Mimmo Lucano: Schuldig der Solidarität!

13 Jahre und 2 Monate Haft für Flüchtlingshilfe.

Quo vadis Europa?

Gibt es eigentlich noch irgendwelche Werte auf dieser Welt?

Wer kennt sie nicht – die Bilder von Afghanistan, China, Libyen usw. – wer kennt sie nicht – Bolsonaro, Trump und wie sie alle heißen.  Wer zeigt nicht mit dem Finger auf diese Länder und sagt: “Gott sei Dank, wir leben in Europa, das ist alles weit weg! Das ist nun vorbei. Endgültig.”

Sie heißen SDGs, 10 Gebote, Verfassung, und vieles mehr. Sie stehen für Freiheit, Solidarität, Nächstenliebe, Brot für die Welt. Aber es scheint, es sind nur noch Lippenbekenntnisse. Wir haben im Religionsunterricht, zuhause und in der Schule, in unserer Gesellschaft Werte gelehrt bekommen. Nun müssen wir lernen, dass diese Werte nicht mehr gelebt werden. Sie sind uns abhanden gekommen. Auch hier bei uns, mitten in Europa.

Da sind die Bilder von den vielen Menschen, die täglich im Mittelmeer ertrinken. Ihre Namen und Zahlen füllen mittlerweile bereits dicke Bücher. Aber auch daran haben wir uns gewöhnt. In den Nachrichten und im täglichen Leben sind solche Bilder normal geworden, wir sind abgestumpft.

Vor einer Woche wurde Domenico “Mimmo” Lucano zu einer Gefängnisstrafe von 13 Jahren und 2 Monaten verurteilt, weil er Menschen in Not geholfen hat.

Sie kennen Mimmo Lucano noch nicht?

Mimmo war der berühmte Bürgermeister von Riace, der kleinen Gemeinde an der kalabrischen Küste, die weltweit zum Modell und Symbol für gelungene Integration von Geflüchteten geworden ist. Mimmo hat viele Preise und Ehrungen dafür bekommen und steht seitdem auch auf Liste der 50 wichtigsten Persönlichkeiten weltweit. Sogar für den alternativen Nobelpreis wurde er vorgeschlagen!

Aber viel wichtiger, Mimmo hat Menschen geholfen. Vielen Menschen, die verzweifelt mit einem Boot an Europas Küste gestrandet sind. Vor seinem Dorf, am Strand von Riace liegen viele kleine Boote aus aller Herren Länder. Die Boote tragen die Namen aller Länder, aus denen die Migrant*innen kamen. Es sind sehr viele Länder: von Pakistan im Osten bis Marokko im Westen fehlt kein Land, in dem Hunger, Landraub, ethnische und religiöse Verfolgung, Krieg und Zerstörung Menschen zur Flucht gezwungen werden.

Entscheidend war auch, dass Mimmo mit seiner Gastfreundschaft nicht nur den Geflüchteten geholfen hat, sondern auch Italien, der Gemeinde Riace und uns. Mimmo hat seine durch Abwanderung und Landflucht verlassene Gemeinde wieder mit Menschen und Arbeit belebt. Mit Menschen, die die verfallenen Häuser wieder hergerichtet haben, um darin zu wohnen. Menschen, die die brach liegenden  verlassenen fruchtbaren Ländereien rund um Riace wieder bewirtschaftet haben, um sich zu ernähren. Menschen, die die Olivenhaine und Zitrusplantagen wieder beerntet haben, aber auch die Kaktusfrüchte. Früchte, die viele Jahre auf dem Boden verfaulten, weil niemand mehr da war um zu ernten. Statt dessen gab es im Supermarkt der nächsten Stadt Äpfel aus Neuseeland, Orangen aus Brasilien und Trauben aus Chile.

Es gab wieder Kinder, eine Schule, einen Kindergarten und eine Buslinie zwischen Riace Superiore und dem 7km entfernten Riace Marina. Menschen aus aller Welt kamen, um Riace zu besuchen, Festivals zu veranstalten, Kunst und Kultur zu schaffen und nicht zuletzt um Mimmo zu treffen. Sie brachten wieder Leben und endlich auch sanften Tourismus in die Region. Menschen, Arbeit und Tourismus brachten Geld in die Gemeinde. Restaurants und Bars öffneten wieder, Straßen, Wasser, Abwasser und Energieversorgung wurden erneuert. Die Menschen konnten wieder hier leben. Es gab wieder eine Zukunft für diese strukturschwache Region, die bereits von Rom aufgegeben war.

Auch in Deutschland haben wir solche Regionen, in denen das Modell Riace erfolgreich sein könnte. In Italien haben sich Mimmo und einige seiner Kolleg*innen gegen die Fremdenfeindlichkeit durchgesetzt. In Deutschland traut sich das leider noch niemand in diesem Ausmaß.

Die Neubürger in Riace haben Aufenthaltspapiere und Arbeit bekommen. Nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Ort selbst. Es wurden Werkstätten und Läden eröffnet, um Kunsthandwerk zu verkaufen, das sie produziert haben. Sie haben Olivenöl gepreßt, Schokolade nach alten sizilianischen Rezepten hergestellt und Likör aus den typischen Kräutern und Früchten Kalabriens destilliert.

Das Wunder von Riace – nannte man es. Der ebenso genannte Film von 6 Minuten zeigt kurz und beeindruckend Mimmos Lebenswerk:

Was ist passiert?

Nicht erst unter dem rechtsradikalen Innenminister Matteo Salvini wurde Mimmo zum Staatsfeind Nummer 1 erklärt. Salvini hat in seinen Wahlkämpfen alles daran gesetzt, mit der Zerstörung des Modells Riace Stimmen zu fangen. Es ist ihm (fast) gelungen. Ein Gallisches Dorf, ein Ort des Willkommens in der Festung Europa? Das sollte es nach seinem Willen nicht mehr geben. Europa sollte Migrant*innen abschrecken.

Leider wird die Politik Salvinis auch nach seinem politischen Absturz weitergeführt. In Italien und in ganz Europa.

Mimmo und viele Helfer aus der Gemeinde in seinem Verein “Cittá Futura” wurden einer ganzen Reihe von Vergehen, Verbechen und Ordnungswidrigkeiten angeklagt und vor Gericht gestellt. Man wollte ein Exempel statuieren. Die Kriminalisierung von Flüchtlingshelfern ist in Mode gekommen. Das vorläufige Ergebnis: Gefängnisstrafen und Geldstrafen für Mimmo und viele seiner Mitstreiter.

13 Jahre und 2 Monate Haft. Domenico Lucano wurde zu einer Strafe verurteilt, wie sie nur Schwerkriminellen gebührt. Bildung einer kriminellen Vereinigung, Amtsmissbrauch, Betrug, Fälschung von Dokumenten, Veruntreuung und Unterschlagung staatlicher Gelder: Dies sind die Anklagepunkte, mit denen das Gericht in Locri jetzt die Aufnahme und Integration von Geflüchteten als verbrecherisch einstufte.
Quelle: https://taz.de/Willkommenskultur-in-Italien/!5805017/

Unrecht geschieht: Mimmo Lucano wird zu 13 Jahren und 2 Monaten Gefängnis verurteilt                                                                                               

30.09.21 – Italien

Das Gericht von Locri hat den ehemaligen Bürgermeister von Riace, Mimmo Lucano, zu 13 Jahren und 2 Monaten Gefängnis verurteilt, eine Strafe, die noch über den von Chefankläger Luigi D’Alessio und Staatsanwalt Michele Permunian beantragten 7 Jahren und 11 Monaten liegt. Darüber hinaus wurde er für fünf Jahre von der Ausübung öffentlicher Ämter ausgeschlossen. 

Das harte Urteil bestätigt, was wir schon immer über den politischen Charakter des Prozesses gegen Mimmo Lucano gesagt haben: Ideale und Praktiken der Solidarität, die als Verbrechen behandelt werden, die Ablehnung einer Vision der Integration, die darauf abzielt, Probleme ohne Konflikte zu lösen, die Kriminalisierung eines Denkens, das sich auf die Rechte der Menschen konzentriert und über die Mängel des Aufnahmesystems in Italien hinausgeht und sogar die Macht des Gesetzes im Namen eines höheren Prinzips der Gerechtigkeit in Frage stellt.

Das Verfahren gegen Mimmo Lucano und 26 weitere Personen wurde am 11. Juni 2019 eröffnet und am 27. September 2021 abgeschlossen. Es fanden 34 Anhörungen statt.
Quelle: https://www.pressenza.com/it/2021/09/ingiustizia-e-fatta-mimmo-lucano-condannato-a-13-anni-e-2-mesi-di-carcere/?fbclid=IwAR2AxnK-PnIn8p_yyGdMoK6s3TKcgaLXY6LSTwFz3iqgAq0WyEKhASzSJE8

Nun, die von den Richtern für Lucano gewählte Strafe ist fast doppelt so hoch wie die von der Staatsanwaltschaft beantragte und bereits abnorme Strafe und höher als die Strafe, die gegen die Verantwortlichen von “mafia capitale” und Luca Traini für den rassistischen Überfall in Macerata am 3. Februar 2018 verhängt wurde, obwohl sie als Massaker eingestuft wurde: https://volerelaluna.it/controcanto/2018/02/04/buio-mezzogiorno-terrorismo-macerata/). Quelle: volerelaluna.it

Das dürfen wir nicht länger hinnehmen! Wir machen uns alle mitschuldig. Wir haben schon einmal geschwiegen. Das ist noch gar nicht so lange her!

Was können wir tun?

  • Unterzeichnen Sie die Solidaritäts-Petition für Mimmo

Mimmo Lucano – schuldig der Solidarität“:     https://chng.it/b646zqdv

Es haben bereits 250.000 Menschen dort ihren Protest ausgedrückt.

  • Drucken Sie folgenden Aushang aus und hängen sie ihn sichtbar auf – im nächsten Laden, an Ihrer Haustür, im Supermarkt, in ihre Autoscheibe:

Solidarität ist kein Straftatbestand

Gerechtigkeit für Mimmo Lucano

  • Geben Sie den Aushang an andere zum selben Zweck.
  • Schicken Sie diese Mail über Ihren Verteiler.
  • Sprechen Sie Politiker und Kirchen an, auch ihre Europaabgeordneten und bitten Sie öffentlichkeitswirksam Protest nach Italien zu schicken.
  • Kaufen Sie bei uns Mimmos Likör aus Lorbeer, Feigenkaktus und Fenchel und ebenso einige Produkte, die wir regelmäßig aus den Werkstätten mitbringen und geben Sie dafür eine Spende. Das Geld geht direkt an Mimmo. Die Häuser des Vereins seiner „Città Futura“ werden in den nächsten Tagen voraussichtlich beschlagnahmt, weil der Verein jetzt als kriminelle Vereinigung geführt und bestraft wird. Somit müssen u. a. Mieten für neue Unterkünfte, die Werkstätten usw. bezahlt werden.
  • Fahren Sie in ihrem nächsten Urlaub nach Riace und zeigen Sie damit ihre Empörung und Unterstützung! Riace ist wunderschön und der Sandstrand ein Traum! Oder kommen Sie auf unserer nächsten Gruppenreise mit hinunter…..
  • Solidarisieren Sie sich mit anderen.

Hier ein paar Impressionen der ersten Solidaritätsdemonstrationen:

https://www.pressenza.com/de/2021/10/fotos-von-der-aussergewoehnlichen-mobilisierung-fuer-mimmo-lucano/

Stimmen aus Riace:

„Alle hatten das Gefühl, dass ihnen, wenn auch nur für kurze Zeit, eine Würde wiedergegeben wurde, jene Würde und Menschlichkeit, aus der Mimmo einen Grund zum Leben gemacht hat”
Quelle: https://www.italy24news.com/News/207086.html

Für uns wird Solidarität niemals ein Verbrechen sein!

Weitere Informationen:

Mimmos Lebensgeschichte ist jetzt auch auf Deutsch ab 15.10. erhältlich

Mimmo Lucano Das Dorf des Willkommens

  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 9783906304878
  • Bestellnummer: 10574543
  • Umfang: 240 Seiten
  • Erscheinungstermin: 15.10.2021

Das kleine Dorf Riace in Kalabrien und ihr Bürgermeister Mimmo Lucano (2004-2018) wurden während der humanitären Krise von Lampedusa im Jahr 2009 international bekannt, weil sie 200 Flüchtlingen und Asylbewerbern Unterkunft und Gastfreundschaft gewährten – im Gegensatz zu Mailand, das gerade mal 20 Plätze zur Verfügung stellte. Im Jahr 2017 waren im Dorf 550 Migranten untergebracht, insgesamt hatten es über 6000 Menschen durchquert.
Ende der 1990er-Jahre gab es in Riace kaum noch Landwirtschaft und Ackerbau. Die einzige Möglichkeit für die wenigen verbliebenen Bewohner war die Flucht. Dann änderte das von Mimmo Lucano geschaffene Empfangssystem alles. Die Häuser im Zentrum, die lange Zeit verlassen waren, wurden neu besiedelt. Hunderten von Flüchtlingen konnte wieder Hoffnung gegeben werden, sie konnten in Handwerksbetrieben Glas und Marmelade herstellen und in einer Weberei arbeiten. Um die verzögerten Auszahlungen von staatlichen Geldern zu überbrücken, wurde gar eine lokale Währung geschaffen.
Das »Modell« stieß auf Gegenwehr. Am 2.¿Oktober 2018, während der Amtszeit des Innenministers Matteo Salvini wurde Lucano unter dem Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einwanderung verhaftet. Die Aufnahmeprojekte wurden geschlossen, und die Häuser stehen wieder leer.

Mimmo Lucano hat nie aufgehört, an seine Idee zu glauben: Jede Gemeinschaft muss auf der Achtung der Menschenwürde beruhen. Die Geschichte von Lucano ist die Geschichte Italiens, denn sein Mut konnte die Grenze aufzeigen, jenseits derer eine Demokratie ihre Grundwerte verrät. Das Buch ist ein direktes und tiefgründiges Zeugnis, das uns einlädt, die Augen dafür zu öffnen, wer wir sind und wer wir sein wollen.

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