Italien in 120 Stunden

Unser Hilfstransport für Geflüchtete unter Corona-Behinderungen

In den Osterferien im April ist es uns nun schon zum wiederholten Mal gelungen, unseren Hilfstransport für die Integrationsprojekte in Süditalien während der Einschränkungen durch die Pandemie zu realisieren. Es begann schon einen Tag vorher an der österreichisch-deutschen Grenze in Freilassing mit Corona-Auflagen. Es hat jedenfalls irgendwie geklappt. Schon lange wollten wir einen gespendeten Citroen-9-Sitzer von GEA Waldviertler von Schrems nach Serra Marina überführen. Renate hatte den Transporter bis Freilassing gefahren und ich sollte ihn dort für den Transfer nach Italien übernehmen. Ganz spontan entschloss sie sich, einfach mitzufahren. Mit einem leeren Transporter nach Italien zu den Projekten? Nein! Renate aktivierte ihre Münchner Waldviertler-Filiale und organisierte 89 Paar Schuhe in allen Größen und Farben für die Geflüchteten. Jetzt war das Auto voll.

Wie üblich starteten wir wieder um Mitternacht. Im Schneesturm, auf der Garmischer Autobahn, 30 km hinter dem Schneepflug, den Zirler Berg auf schneeglatter Straße rauf. An der Grenze wieder mit der 120-Stunden-Corona-Einreise-Regelung ohne Probleme passiert, nach Innsbruck runter und den Brenner rauf wieder gänzlich ohne Wetter. Sonnenschein-Frühstück bei Ancona wie immer direkt am Strand der Adria mit Cappuccino und Cornetti to go. Ein Hauch von Urlaub, aber immer noch keine Touristen. Nur ein paar Fischer bei der Arbeit.

Casa Sankara Ghetto Out

Dann nur noch 4 Stunden bis zur Casa Sankara bei San Severo und einem herzlichen Widersehen mit Hervé und Mbaye, den beiden genialen Aktivisten, die das autonome Integrationszentrum so erfolgreich leiten.

Sie zeigten uns die Fortschritte ihrer Aufbauarbeit: Die Schneiderei produziert traditionelle afrikanische Kleidung, die Räume für das Web-Radio werden gerade renoviert und stolz präsentieren und überreichen sie uns die ersten selbsterzeugten Dosen mit ethisch produzierten Pelati, den geschälten Tomaten. Sie sind noch nicht biozertifiziert, das haben sie finanziell und zeitlich noch nicht geschafft. Aber sie sind dran. Der Weingarten ist zwar noch immer verwildert und nicht geschnitten, aber ein Berater der Regierung hat schon Hilfe zur Selbsthilfe gegeben.

Aufruf: Wer Ahnung vom Zuschneiden von alten Rebstöcken und der Bearbeitung des Boden hat und im Winter sein Wissen, sein Können und seine Arbeit einbringen möchte, der ist herzlich eingeladen, den Weingarten in Schuss zu bringen. Interessierte können sich bei uns melden, wir vermitteln gern einen außergewöhnlichen Erlebnisurlaub.

Hervé Papa Latyr Faye

Der Höhepunkt war aber die Verteilung der mitgebrachten Schuhe. Der Berg an Schuhkartons war umlagert und Viele fanden ein passendes Paar. Renate wurde nicht müde, die richtigen Größen auszupacken und zu verteilen.

Weiter fuhren wir bis Matera, wo wir gegen Abend auf dem Bio-Bauernhof „Masseria la fiorita“ von Marialara und ihrem Vater Guiseppe erwartet wurden. Nach einem Abendessen und reichlich Rotwein war einschlafen nach der langen Fahrt kein Problem.

Casa Betania – Häuser der Würde

Nächste Station war Casa Betania in Serra Marina, die Häuser der Würde, wo wir das Auto abliefern wollten. Moudy aus dem Sudan, der Aposteldarsteller in Milo Raus Film „Das Neue Evangelium“ ist dort der Hausmeister und Gärtner, wie er sagt. 30 Geflüchtete leben mittlerweile in der kleinen Anlage, die mit Hilfe der Kirche und der Gewerkschaft renoviert wurde. Von dort fahren die Männer zu den Feldern der Vertragsfarmer, die ordentlichen Lohn zahlen. Yvan Sagnet, Jesusdarsteller und Gründer von NoCap stieß etwas später zu uns und wir übergaben bei der Kaufvertragsunterzeichnung über 0 € den Schlüssel.

Yvan unterschreibt den 0 €-Kaufvertrag und Moudy freut sich über das alte/neue Auto

Nur kurz konnten wir mit Yvan über die Tomatenprodukte sprechen, die wir inzwischen in Deutschland und der Schweiz vertreiben, über deutsche Etiketten und Produktfotos, dann musste Yvan weiter. Er fuhr noch am gleichen Tag nach Sizilien, wo er dringend bei der aktuellen Frühkartoffel- und Fenchelernte gebraucht wurde.

AgricoLa Leggera

Nicht weit entfernt ist der Bio-Bauernhof von Vito. Auch er war Apostel – der einzige weiße. Er hat vor kurzem den Notarvertrag für den Kauf eines Nachbargrundstücks unterzeichnet, auf dem er Migranten aus Afrika mit Hilfe von Permakulturgärten die Möglichkeit schaffen will, ihr eigenes Gemüse, Obst und Getreide anzubauen und in ökologischen Lehm/Stroh-Häusern zu leben. Der Lockdown hat ihm schwer zugesetzt, weil er seine Produkte – Olivenöl, Timilianudeln, Feigen und vieles mehr, nicht mehr auf dem lokalen Markt verkaufen konnte.

Wir haben fast seine ganze Jahresernte aufgekauft, damit er mit seiner Familie nicht nur überleben, sondern auch sein Integrationsprojekt weiter finanzieren kann. Wir haben seine Pläne gesehen, in denen die nachhaltige Bewässerung wohl der wichtigste Teil für das Gelingen ist und wir haben erkannt, dass noch sehr viel Arbeit vor ihm liegt. Deshalb organisieren wir Workshops, in denen sowohl die Erdarbeiten als auch der Bau der Häuser mit vereinten Kräften Projektfortschritte bringen. Im August werden zwei Workshops zum Lehm-Stroh-Hausbau stattfinden. Wer daran teilnehmen möchte, kann sich schon jetzt bei uns anmelden. Übrigens, Vito wird voraussichtlich Hilfe von Moudy bekommen, der dort seine eigentliche Aufgabe und Erfüllung sieht. Die beiden haben sich schon darauf verständigt.

Spartacus

In der Kürze der 120 Stunden, in denen wir zu geschäftlichen Zwecken nach Italien ein- und wieder ausreisen durften, war es leider nicht mehr möglich, das Projekt Spartacus in der Nähe von Rosarno zu besuchen. Dort sind es hauptsächlich Zitrusfrüchte in endlosen Plantagen, in denen Gefüchtete, aber auch europäische Migranten aus Rumänien als Landarbeiter eingesetzt werden.

Rosarno hat wegen gewalttätiger Ausschreitungen gegen schwarze Arbeitssklaven traurige Berühmtheit erlangt. Genau dort forciert unser Freund Gianantonio von der italienischen Fairtrade Organisation Chicomendes das Integrationsprojekt „Spartacus“.

Wir konnten vermitteln, dass Yvan und Gianantonio seit einem Jahr zusammenarbeiten und sich gegenseitig helfen. Deshalb war es uns möglich, dass wir von November bis März eine monatliche Sammelbestellung über jeweils 4-5 Tonnen Zitrusfrüchte importieren konnten, die wir hier mit großer Nachfrage weiterverkauft haben. Aus dem Verkauf konnten wir wieder Spenden generieren, die unmittelbar nach Italien geflossen sind, um das NoCap-Netzwerk weiter zu unterstützen und auszubauen. Spartacus steht auf dem Programm unserer nächsten Fahrt ganz oben.

Riace

Ebenfalls nicht möglich war der Besuch der „Willkommensgemeinde“ Riace und seines ehem. Bürgermeisters Mimmo Lucano. Zusätzlich zu den behördlichen Schikanen gegen die Integrationsbemühungen war dort der Lockdown so hart, dass im Moment Stillstand herrscht. Sie haben uns von einem Besuch abgeraten. Nicht, weil Covid dort wütete, ganz im Gegenteil, sondern weil „Rote Zone“ in Kalabrien bedeutet, dass das mangelhafte Gesundheitssystem schon bei wenigen Covid-Kranken zusammenbrechen würde. Die allgegenwärtigen Kontrollen der Polizei und die hohen Strafen machten einen Aufenthalt in Riace unmöglich. Die Entwicklung von Riaces Wiederauferstehung nach der Ära Salvini lässt wegen der anhaltenden Handlungsunmöglichkeit weiter auf sich warten. Es laufen immer noch Gerichtsverhandlungen, die zwar bisher allesamt positv ausgegangen sind, aber sich noch über Jahre hinziehen werden. Die Probleme sind nicht kleiner, sondern größer geworden. Vor allem die finanziellen Probleme. Überfällige Mietzahlungen, ausbleibende Touristen und wieder einmal abwandernde Menschen verschärfen die Situation. Wir versuchen noch immer mit Versteigerungen und Spendensammlung zu helfen, aber es sind nur die berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Wir bleiben dran.

Spenden für NoCap-Projekte

Das Thema Spendensammlung ist nach wie vor hochaktuell. Die Homepage des Films „Das Neue Evangelium“ von Milo Rau hat wegen der darin gezeigten NoCap-Tomaten direkt auf unsere Spendenseite verlinkt, wo auch die Bezugsquellen der Produkte in Deutschland und der Schweiz zu finden sind. Wir haben an vielen Online-Filmgesprächen teilgenommen, nach denen die Bereitschaft zu spenden inzwischen über 20.000 € eingebracht hat. Sobald wir das 40.000-Ziel erreicht haben, werden wir das Geld an die Projekte verteilen.

NoCap-Produktvertrieb

Wir haben viele Paletten mit Tomaten-Produkten importiert, Proben verschickt, viele Autoladungen an Weltläden und Bio-Läden zum Weiterverkauf geliefert und tausende Pelati, Passata und Salsa im Laden verkauft. Wir haben in der Regel alle fünf Produkte auf Lager. Wir bekommen von überall begeisterte Rückmeldungen.

Die Qualität und der Geschmack sind überzeugend.

Der Vertrieb der Tomaten, Zitrusfrüchte und zukünftig vielleicht Gemüse, sind auf Dauer die Erfolgsgaranten für die Weiterentwicklung und die Vergrößerung des NoCap-Netzwerks und der Verbesserung der Lebensbedingugnen der Migrant*innen in Italien. Yvan hat zu Weihnachten gemeldet, dass inzwischen mehr als 500 Geflüchtete in ordentlichen Arbeits- und Wohnverhältnissen leben. Sein Ziel sind aber 1000 mal so viele! Chicomendes sieht die Größenordnung zufällig genauso.

Wir Verbraucher sind gefordert

Der wichtigste Schlüssel für das Erreichen dieses Ziels ist aber ein Umdenken der Verbraucher: Keine Billigprodute im Supermarkt, sondern Fairtradeprodukte im Allgemeinen und NoCap-Produkte im Besonderen kaufen, die garantieren: Dieses Produkt wurde ohne Sklavenarbeit erzeugt!

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